Sollte eine Gesundheitsministerin auf dem Boden der Wissenschaft stehen?

von Dr. Magnus Heier

05.02.2013 | Barbara Steffens ist seit Mitte 2010 NRWs Ministerin für „Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter“. Am 2. Juni 2011 gab sie am Rande eines Homöopathiekongresses dem Pressesprecher des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, Christoph Trapp, ein Interview mit bemerkenswerten Zitaten. Sie habe den Kongress eröffnet, weil „ich von Homöopathie selber persönlich überzeugt bin und weil ich einfach glaube, dass Homöopathie in unserem Gesundheitssystem einen festen Platz haben muss, weil die Patientinnen und Patienten das wollen.“ Man beachte die Begründung: „Weil die Patienten das wollen.“ Kann das der Maßstab einer Ministerin sein?

Wenn man ihre Begründung konsequent zu Ende denkt, wenn nicht Wissenschaftlichkeit sondern Beliebtheit zur Grundlage der Medizin würde, dann müsste sich das Gesundheitswesen grundlegend verändern. Ein Beispiel gefällig? Ginge es nach Beliebtheit, dann müssten Ärzte etwa die berüchtigte Fliege-Essenz, das gesegnete Heilwasser des Pastors Jürgen Fliege, zur Behandlung einsetzen. Fliege war und ist überaus populär, sehr viele Patienten würden es wollen. Wenn nicht Wissenschaft sondern Wunsch zum Maßstab würde, dann müssten Ärzte zur Ader lassen, dann würden Ärzte zu Magiern, dann gäbe es einen großen Markt paramedizinischer und okkulter Behandlungen. Ausbildung wäre überflüssig, weil Nachweise der Wirksamkeit nicht mehr gefordert würden. Gespritzt wird, was gefällt.

Allerdings lässt sich das mit geltendem Recht nicht vereinbaren: Medikamente etwa müssen ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien beweisen, bevor sie in den Leistungskatalog der Krankenkassen übernommen werden. Und weil Homöopathische Medikamente dies nicht schaffen, geht Barbara Steffens noch einen konsequenten Schritt weiter und fordert eine neue Wissenschaft: Man müsse „gemeinsam Wege finden, wie man die Nachweise anders erbringen kann und wie man anders auch mit Forschung die Naturheilkunde, die Homöopathie, die Alternativverfahren doch deutlicher ins System implementieren kann“.

Das klingt absurd, und das ist es auch. Im Klartext heißt es: Wenn die evidenzbasierte Medizin die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente nicht nachweisen kann, dann muss eben das Studiendesign so verändert werden, dass die Homöopathie ihren Wirksamkeitsnachweis bekommt. Das Ziel wird vorgegeben, der Weg dahin muss noch gefunden werden. Wissenschaft wird zur Nebensache, zum Erfüllungsgehilfen der Homöopathie. Erstaunlich ist, dass es keinen Aufschrei der Wissenschaftler und Ärzte gab.

Und die Ministerin sieht die Homöopathie offenbar nicht nur als eine Behandlungsoption unter vielen, sondern eher als die erste Wahl. Man müsse die „Kostenträger im System überzeugen davon, dass es der richtige Weg ist, in vielen, vielen Fällen erst einmal homöopathische Maßnahmen zu ergreifen“. Erst einmal homöopathisch, dann anders, wenn überhaupt.

Es ist bemerkenswert, dass Barbara Steffens die existenten Grundlagen des Gesundheitssystems komplett ausblendet. Es ist beunruhigend, mit welcher Konsequenz sie das ganze System evidenzbasierter Medizin ignoriert. Und es ist erschreckend, mit welcher Leichtfüßigkeit – man könnte auch von Naivität sprechen – sie einfach von der Überlegenheit der Homöopathie und übrigens auch der Akupunktur ausgeht. Punkt. Ende der Diskussion. Der wissenschaftliche Apparat in ihrem Ministerium spielt offensichtlich keine Rolle mehr.

Darf die Ministerin das überhaupt? Wir haben eine zugegebenermaßen sehr naive Anfrage an das Bundesministerium des Innern gestellt und gefragt, ob es eine „Stellenbeschreibung“ von Ministern gibt. Ob diese an irgendwelche Grundsätze gebunden sind. Ob der Gesundheitsminister etwa einer wissenschaftlichen Medizin verpflichtet ist. Die Antwort, wenig überraschend: Minister sind ihren Vorgesetzten unterstellt – weitere verpflichtende Maßstäbe gibt es nicht. Und wenn ein Gesundheitsminister etwa plötzlich seine Liebe zur altbewährten Vier-Säfte-Lehre (Corpus Hippocraticum, ca. 400 v. Chr.) entdeckte, dann darf er auch diese propagieren…

Der Autor ist praktizierender Neurologe in NRW