Gerade in einer Wissensgesellschaft wie Deutschland und in einer Zeit, in der Desinformation demokratiegefährdend um sich greift, sei die Arbeit von Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten relevanter denn je. Doch der Wissenschaftsjournalismus befindet sich in einer ökonomischen Krise. Um den Herausforderungen proaktiv zu begegnen, schlägt die WPK u. a. eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus als Transformationshilfe vor.
Die komplette Stellungnahme (pdf) im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wissenschaftsjournalismus ist wichtig, gerade in einer Wissensgesellschaft wie Deutschland. In der Corona-Krise hat er seine Relevanz eindrucksvoll gezeigt. Dennoch befindet sich der Wissenschaftsjournalismus in einer tiefgreifenden ökonomischen Krise, die den Journalismus allgemein trifft: In der digitalen Medienwelt sind viele Informationen frei verfügbar, das zahlende Publikum erodiert, der Großteil des Werbevolumens fließt an Google, Meta & Co.
Die Krise des Geschäftsmodells trifft den Wissenschaftsjournalismus besonders hart: Zum einen ist besonders rechercheintensiv und auf freie Fachautoren angewiesen, deren ökonomische Lage prekär ist. Zum anderen ist das Ressort erst in den Neunzigerjahren entstanden. Dabei gab es das Ressort nie flächendeckend in allen Medien, sondern vor allem in überregionalen Printmedien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch wenn einige wenige überregionale Medien ihre Wissenschaftsressorts ausgebaut haben, sind vielerorts Ressorts geschlossen oder zusammengelegt worden, die allermeisten Regionalmedien können sich keine eigenständige Berichterstattung über Medizin-, Technik- oder Umweltthemen mehr leisten, die Zahl der Wissenschaftsjournalist:innen sinkt.
Zugleich landen immer mehr PR-Botschaften in den Redaktionen, die immer mehr digitale Kanäle bespielen und sich dort mit Desinformation und „Fake News“ auseinandersetzen müssen: Die aktuellen Arbeitsbedingungen unterminieren die Qualität der journalistischen Produkte.
Es ist schwer vorstellbar, wie ein zunehmend dysfunktionales Mediensystem die Bevölkerung über Chancen und Herausforderungen wissenschaftlicher Entwicklungen fundiert informieren soll.
Viele Fortschritte in der Wissenschaft bergen enormen gesellschaftlichen Diskussionsbedarf, der ohne kenntnisreiche, unabhängige und massenmedial aufbereitete Informationen nicht befriedigt werden kann:
– Es geht um kritische Einordnung, Suche nach Evidenz und darum, vermeintliche von echten Experten zu trennen.
– Es geht um fachliche Prüfung veröffentlichter Studien und wissenschaftlicher Statements.
– Unzureichend oder gezielt falsch informierte Bürger:innen sind eine denkbar schlechte Basis für evidenzbasierte Entscheidungen, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann.
Was können wir tun?
In der Lage zeigt der Wissenschaftsjournalismus eine hohe Innovationskraft und -fähigkeit: In der digitalen Transformation sind mediale Innovationen wie die RiffReporter, MedWatch oder Research.Table entstanden. Neue stiftungsfinanzierte Intermediäre wie das Science Media Center Germany (SMC) versuchen, strukturelle Defizite insbesondere im regionalen und lokalen Journalismus auszugleichen. Weitere Ideen gibt es zu genüge. Was fehlt, ist das Geld, sie umzusetzen oder sie im Transformationsprozess weiterzuentwickeln. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass es gerade in Deutschland an einer fördernden Infrastruktur für diese Pioniere fehlt.
Um die skizzierten Herausforderungen proaktiv anzugehen, schlägt die WPK vor:
Eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus als flankierende Transformationshilfe, die es Start-Ups und neuen gemeinnützigen journalistischen Intermediären ermöglicht, innovative Konzepte für den Journalismus im digitalen Zeitalter auszuprobieren. Die Bundesregierung unterstützt diese Idee und hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, sich für „die Förderung des Wissenschaftsjournalismus durch eine unabhängige Stiftung“ einzusetzen.
Die WPK hält die Unabhängigkeit der Stiftung für eine Frage der Governance. Diese muss die Unabhängigkeit der Mittelvergabe garantieren. Dass eine solche Governance funktioniert (und auch öffentlich anerkannt wird), belegen sowohl die Konstruktion des SMC als auch der WISSENSWERTE wie auch des WPK-Innovationsfonds.
Die WPK plädiert hier für eine gemeinnützige und unabhängige Verbrauchsstiftung (mit einem Kapitalstock von 10 Mio. Euro), die den Vorteil hat, dass nicht nur die Zinsen des Stiftungskapitals, sondern auch das Stiftungskapital selbst in die Projektförderung investiert werden können. In der Rechtsform der gGmbH – bspw. mit Rechtsaufsicht (statt Fachaufsicht), beliehen mit hoheitlichen Aufgaben, dauerhaft finanziert – können überdies zusätzliche Gesellschafter/ Zu-Stifter aufgenommen werden.
− In Deutschland gibt es mehrere Beispiele für Stiftungen, die ihr Kapital vom Staat erhalten, in ihrer Organisations- und Entscheidungspraxis aber unabhängig sind: So hat die Deutsche Stiftung Friedensforschung ihren Kapitalstock von über 25 Mio. Euro vom BMBF erhalten. Auch die vom BMBF finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) entscheidet ohne Rücksprache mit ihrem Geldgeber über die Vergabe ihrer Fördermittel. Ebenso werden alle relevanten Förderentscheidungen der Film und Medien Stiftung NRW von ausgewiesenen Experten innerhalb unabhängig agierender Fördergremien der Stiftung getroffen.
− Dementsprechend sollten die Entscheidungsgremien der Stiftung ausschließlich mit wissenschaftsjournalistischen Fachexperten aus Journalismus und Journalismusforschung besetzt sein, die Anträge auf Grundlage der Förderrichtlinien der Stiftung begutachten. So bleibt gewährleistet, dass die fachlich fundierten Stiftungsentscheidungen in größtmöglicher Autonomie getroffen werden.
− Die Expertise des Staatsrechtlers Prof. Steffen Augsberg (Universität Gießen), zeigt dass die Förderung des Wissenschaftsjournalismus mit Hilfe staatlicher Mittel verfassungskonform ausgestaltet werden kann. Die Frankfurter Anwaltskanzlei Paul Hastings hat für die WPK bereits Eckpunkte für Governance und Satzung einer solchen Stiftung erarbeitet.
Was die Stiftung entwickeln / starten / fördern kann
Dabei ist die Stiftung kein Selbstzweck. Es geht um einen absolut gemeinnützigen Zweck: Wir brauchen diese Stiftung und Fördermittel in der skizzierten Dimension, um mit ca. 1 Millionen Euro pro Jahr ganz konkrete Innovationsprojekte für den Journalismus initiieren zu können.
Wir brauchen INNOVATIONEN IN DER AUS- UND WEITERBILDUNG:
▪Mentoringprogramm: Programm für Nachwuchswissenschaftler:innen zum qualifizierten Einstieg in den Journalismus, das mit Hospitanzen in Leitmedien-Redaktionen auf die Arbeitsfelder im digitalen Zeitalter vorbereitet
▪Weiterbildungen im Wissenschaftsjournalismus: Systematische Vermittlung von Wissen und Methoden wie KI-/ datenbasierte Recherche durch gemeinnützige Training Academy, die Workshops und Tools kostenfrei sowohl für Wissenschaftsjournalisten als auch für nicht-spezialisierte Journalist:innen anbietet und auch Innovationswissen vermittelt
▪Innovationslabs an Hochschulen, die Innovations-Knowhow zu Gründung und Geschäftsmodellen vermitteln
Wir brauchen STRUKTUR-INNOVATIONEN:
▪ScienceRegioDesk: Gemeinnützige Wissenschaftsredaktion, die für Lokal-/Regionalzeitungen produziert und ihnen trotz fehlender Ressourcen eine kompetente Wissenschaftsberichterstattung ermöglicht
▪Kompetenzzentrum KI im Journalismus: Kritische Begleitung und Auswertung der KI-Berichterstattung und des KI-Einsatzes in Redaktionen
▪Verankerung in den Curricula: Fachübergreifende Vermittlung von Medienkompetenz, Wissenschaftsjournalismus und Innovation an Studierende im Grundstudium
▪Science Center for Computational Journalism: An-Institut an Hochschule für Entwicklung von datenbasierten journalistischen Produkten und Services zum systematischen Aufbau von datenjournalistischen Kompetenzen in Redaktionen
Wir brauchen vor allem Mittel in einem nennenswerten Umfang, um mit innovativen Ideen gegen die strukturelle Krise des Journalismus angehen zu können. Allein deshalb setzen wir uns für eine Stiftung Wissenschaftsjournalismus ein. (Wobei sich für die Bereitstellung von Bundesmitteln ebenso der bereits bestehende und praxistaugliche WPK-Innovationsfonds anbietet.)
Die Stiftung wird die strukturelle Krise des Wissenschaftsjournalismus sicherlich nicht im Alleingang lösen können. Sie kann aber ein zentraler Baustein sein, um ein innovatives Feld zu stärken – und eine Blaupause für die Transformation liefern, die auch in andere journalistische Felder ausstrahlt.
Köln, April 2024
Nicola Kuhrt [Vorsitzende WPK]
Holger Hettwer [Geschäftsführer WPK]