Journalisten müssen recherchieren können –
WPK fordert besseren Zugang zu Informationen

Offener Brief

an die Pressestellen von

Gesundheitsministerien, Gesundheitsämtern, Behörden, Universitätskliniken und Forschungsinstituten, die aktuell mit der Covid-19-Pandemie befasst sind.

                                                                                                           6. April 2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Pandemie mit dem Virus SARS-CoV-2 stellt nie dagewesene Anforderungen an Politik, Wissenschaft und Presse. Es ist in kurzer Zeit vieles gestemmt worden, aber der riesige Informationsbedarf hat auch zu Schieflagen bei der Kommunikation und Engpässen bei den Recherchemöglichkeiten geführt. Bei allem Verständnis dafür, dass auch die Kommunikationsabteilungen an ihre Belastungsgrenzen kommen, benötigen insbesondere Wissenschaftsjournalisten in Zeiten von hoher Unsicherheit einen verlässlichen Zugang zu zentralen Institutionen und domainspezifischen Experten. Nur so ist eine tiefgründige Berichterstattung möglich, können neue Entwicklungen kritisch eingeordnet und Falschnachrichten ausgehebelt werden. Auch die Akzeptanz der aktuellen Maßnahmen hängt letztlich davon ab, dass Journalist*innen das Geschehen kritisch einordnen und begleiten können.

Die Wissenschaftspressekonferenz WPK e.V., Deutschlands Verband der Wissenschaftsjournalisten, appelliert daher an alle Verantwortlichen in Gesundheits- und Wissenschaftseinrichtungen, an Behörden sowie Forschende:

  • Pressestellen der Gesundheitsministerien, Behörden und wissenschaftliche Einrichtungen mit einschlägiger Expertise sollten für Journalist*innen erreichbar sein und Anfragen zeitnah beantworten – die Arbeit der Pressestellen ist hierfür wertzuschätzen und ggf. auch personell zu verstärken.
  • Dazu gehört auch, in Zeiten von verordnetem Home Office die technischen Grundlagen für eine reibungslose Kommunikation zwischen Journalisten und kundigen Experten sicherzustellen – z. B. durch funktionierende Telefonumleitungen. (Drei Beispiele von vielen: Bei der Senatsverwaltung für Gesundheit in Berlin ist die Pressestelle praktisch seit zwei Wochen nicht erreichbar und beantwortet Fragen nicht. Die RKI-Pressestelle scheint überlastet und beim Bundesgesundheitsministerium oder bei den Kassenärztlichen Vereinigungen fielen teilweise die Telefonanlagen aus).
  • Gesundheitsministerien und einschlägige Behörden sollten regelmäßig und zeitnah digitale Pressekonferenzen veranstalten, die es Journalist*innen erlauben, aus der Ferne und interaktiv ihre Fragen zu stellen. Das RKI veranstaltet zwar zwei Pressekonferenzen pro Woche, allerdings müssen die Fragen vorab schriftlich eingereicht werden. Nachfragen zum aktuellen Statement sind folglich erst 3-4 Tage später möglich. Das reicht für den erheblichen Informationsbedarf bei diesem komplexen Thema nicht aus und führt immer wieder zu vermeidbaren Missverständnissen. Kritische Nachfragen sollten wo immer möglich zeitnah gestellt und beantwortet werden, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
  • Öffentliche Institutionen haben in der aktuellen Krise eine besondere Verantwortung der ausreichenden Information der Öffentlichkeit. Hierzu sollten sie sicherstellen, dass insbesondere Wissenschaftsjournalist*innen auch dann zeitlich begrenzten Zugang zu einschlägigen domainspezifischen Experten gewährt wird, wenn diese anderweitig stark eingebunden sind. Gerade Wissenschaftsjournalisten sollten bei komplexen Fragestellungen nicht nur Gesprächspartner auf Vertreter- oder Leitungsebene erhalten, sondern Zugang zu den relevanten Expert*innen. (Hintergrund: An vielen Stellen gibt höchstens die Pressestelle und die Leitungsebene öffentliche Auskünfte – Forschende und kundige Experten aus den Häusern sind oftmals nicht erreichbar, was insbesondere bei spezielleren Recherchefragen dazu führt, dass verfügbares Wissen nicht kommuniziert werden kann).
  • Um knappe Zeitressourcen von domainspezifischen und reputierten Forschenden in der aktuellen Situation so sinnvoll wie möglich zu nutzen, regt die WPK regelmäßige virtuelle Pressekonferenzen mit wechselnden sachkundigen Experten an, um den Informationsfluss zu bündeln. Science Media Center und Wissenschaftspressekonferenz e.V. bieten sich als unabhängige Intermediäre an, virtuelle Press-Briefings zu organisieren, in denen viele Journalisten Fragen an wechselnde sachkundige Experten stellen können. Das lässt sich zeitnah und einfach über webbasierte Interaktionsformate organisieren. Die Informationen – zum Teil Audiomitschnitte – werden anschließend kostenfrei allen akkreditierten JournalistInnen zur Verfügung gestellt. Hier empfehlen wir mehr Kooperationen, um möglichst vielen Wissenschaftsjournalist*innen einen verbesserten Zugang zu den wenigen relevanten Experten zu ermöglichen.

An einer guten Zusammenarbeit in diesen schwierigen Zeiten ist uns sehr gelegen.

Mit freundlichen Grüßen,

Der Vorstand der WPK
Martin Schneider, Claudia Ruby, Nicola Kuhrt, Dr. Arndt Reuning, Dr. Veronika Hackenbroch

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