WPK-Recherchereise zu Forschungsinstituten nach Karlsruhe und Stuttgart
Bosch Health Campus und Max Rubner-Institut, 30.3.-1.4.2025
Wozu die Wissenswerte alles gut ist: letztes Jahr in Heidelberg sprach mich Cornelia Varwig vom Bosch Health Campus an, ob die WPK Interesse hätte, die dortige Forschung kennen zu lernen. Unter anderem würde zu Ernährungsthemen gearbeitet. Wunderbar! Ernährung wollte ich schon seit längerem zum Schwerpunkt einer WPK-Reise machen. Also, gleich Kontakt mit Iris Lehmann vom Max Rubner-Institut aufgenommen: Ja, auch dort seien wir willkommen.
Die erste Recherchereise des Jahres 2025 führte also 13 WPK-Mitglieder zum Bosch Health Campus nach Stuttgart sowie zum Max Rubner-Institut nach Karlsruhe. Am 31. März und 1. April standen Themen rund um Gesundheit mit besonderem Bezug zur Ernährung im Fokus. An beiden Standorten nahmen sich führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel Zeit, um ihre Forschung vorzustellen. Wie immer bei den WPK-Reisen waren sie ihrerseits begeistert vom Wissen, dem Interesse und der Neugier der Wissenschaftsjournalist:innen – ein gewinnbringendes Unterfangen für alle Beteiligten!
Was wir in Stuttgart und Karlsruhe alles erlebt haben (Link zum Programm) und wie es uns ergangen ist, erfahrt ihr im Folgenden. Großen Dank an die beiden gastgebenden Institute!
Lynda Lich-Knight

WPK-Mitglieder bei der Recherchereise am Max Rubner-Institut
Am Bosch Health Campus
Neue Ansätze zu Pankreas- und Darmkrebs
„Wer seine Individualität verliert, verliert alles.“ Mit diesem Zitat von Mahatma Gandhi steigt Steven Johnsen vom Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) in seinen Vortrag ein. Krebszellen ihre Identität vergessen zu lassen, ist sein Ziel auf dem Weg zur besseren Behandlung des sehr aggressiven Krebs in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas).
So wie Menschen eine individuelle Identität haben, so besitzen auch Tumorzellen eine einzigartige Identität. Diese Identität beeinflusst das Wachstum des Tumors, inwieweit die Tumorzellen streuen und sie auf eine Therapie ansprechen. Fachleute sprechen dabei von molekularen Subtypen. „Sie sind unsere Chance. Wenn wir die Identität einer resistenten Tumorzelle ändern können, können wir sie für Therapien empfindlich machen“, sagt Johnsen. Sein Team beeinflusst deshalb mittels Moleküle gezielt die epigenetischen Programme der Zellen, also wie die DNA der Tumorzellen abgelesen wird.
Die molekularen Mechanismen von Krebs zu entschlüsseln und Zellen gezielt umzuprogrammieren, hat sich auch RBCT-Kollegin Robyn Kosinsky zur Aufgabe gemacht. Ihr Lab befasst sich mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen als Risikofaktor für das kolorektale Karzinom. Letzteres ist die dritthäufigste Krebsart und die zweithäufigste Ursache für krebsbedingte Todesfälle weltweit.
Mit Blutproben können die Forschenden künftig die molekulare Identität von Tumorzellen analysieren – nicht-invasiv und in Echtzeit. Damit lässt sich nicht nur das Tumorverhalten überwachen, sondern auch die Wirkung einer Therapie direkt kontrollieren. Das ist ein wichtiger Schritt Richtung präzise, personalisierte Krebsbehandlung. Dennoch bleibt ein Wermutstropfen: Der Weg ist noch weit und von Hoffnung für aktuell erkrankte Patientinnen und Patienten kann laut der Forschenden noch nicht die Rede sein.
Salome Berblinger
Studien zu Yoga und Ernährung
Yoga, der neue Volkssport? Umfragen deuten darauf hin. Ihnen zufolge praktizieren immerhin 20 Prozent der Deutschen die meditative Bewegungsform, berichtete Holger Cramer, der Wissenschaftliche Leiter des Robert Bosch Centrums für Integrative Medizin und Gesundheit: „Die meisten Befragten versprechen sich eine Verbesserung ihres körperlichen Befindens, viele wollen Stress reduzieren.“ Subjektiv empfundener Stress werde oft unterschätzt, dabei sei er ein bedeutender Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Unfälle und sogar Krebs.
Aber taugt Yoga wirklich als Stressbremse? Dieser Frage ging Cramers Team in der weltweit ersten, kürzlich veröffentlichten Metaanalyse zu Yoga und Stress nach. Fazit: Yoga hat tatsächlich eine stressreduzierende Wirkung – im Vergleich zu Verfahren wie Achtsamkeitsübungen oder progressive Muskelentspannung ist diese jedoch eher von kurzfristiger Dauer. In einer weiteren Studie zur Wirkung von Yoga bei Colitis ulcerosa, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, führte Yoga bei vielen Betroffenen zu einer deutlichen Linderung der Symptome. Die Wirkung von Yoga auf Menschen mit Post-Covid-Syndrom und die damit oft einhergehende tiefe Erschöpfung (Fatigue) untersuche sein Team derzeit zusammen mit der Uniklinik Tübingen, dem Immanuel Krankenhaus Berlin und der Charité, sagte Holger Cramer. Mit Ergebnissen sei 2026 zu rechnen.
Eine neue klinische Studie namens „Medimind“ stellte die Ökotrophologin Alina Moosbrunner vor. Untersucht wird, wie sich unterschiedliche Ernährungs- und Verhaltensweisen auf die mentale Gesundheit von Menschen mit Depression und Adipositas auswirken. Während ein Teil der Studienteilnehmer Mittelmeerkost zu sich nimmt, steht in einer zweiten Studiengruppe das achtsame, langsame Essen im Mittelpunkt. In Gruppe drei werden mediterrane und achtsame Ernährung miteinander kombiniert. Gruppe vier befasst sich nicht mit Ernährung – hier geht es um Geselligkeit und ihre gesundheitlichen Wirkungen. Medimind startete im Oktober 2024. Ergebnisse konnte Alina Moosbrunner noch nicht präsentieren, wohl aber erste begeisterte O-Töne aus den Studiengruppen.
Lilo Berg
Maßgeschneiderte Arzneimitteltherapie
„Meine Pille, deine Pille“ – so titelte bereits vor einigen Jahren die Apotheken Umschau, berichtete Professor Dr. med. Matthias Schwab. Besonders in der Onkologie sei die personalisierte Medizin anderen Fachrichtungen weit voraus, erklärte der Klinische Pharmakologe vom Dr.-Margarete-Fischer-Bosch-Institut (IKP) am Bosch Health Campus. Hier werde eine Vielzahl von Arzneimitteln erst dann eingesetzt, wenn spezifische genetische Merkmale im Tumorgenom vorliegen.
Doch nicht nur Tumorgenome weisen individuelle genetische Profile auf, sondern auch die Gene, die den Bauplan zahlreicher Enzyme codieren und unter anderem für den Abbau von Arzneimitteln verantwortlich sind. Je nach genetischer Variation können sie ihre Funktion entweder schneller oder langsamer ausüben, was gravierende Konsequenzen für die Therapie haben kann: Eine zu hohe Dosierung erhöht das Risiko für Nebenwirkungen, während ein beschleunigter Abbau die Wirksamkeit des Medikaments stark reduziert.
Wie eine bestimmte genetische Ausstattung das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen erhöhen kann, verdeutlichte Schwab am Beispiel der Behandlung eines kolorektalen Karzinoms mit dem Arzneistoff 5-Fluorouracil (5-FU). Der Abbau von 5-FU erfolgt über das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD). Trägt ein Patient genetische Varianten im DPD-Gen, die die Enzymaktivität reduzieren, steigt das Risiko für schwere toxische Reaktionen unter einer 5-FU-Therapie erheblich. Inzwischen ist es Standard, Patienten vor der Anwendung von fluorouracilhaltigen Wirkstoffen auf DPD-Varianten zu testen.
Schwab geht noch einen Schritt weiter: Er plädiert für eine umfassendere pharmakogenetische Testung, die im Robert-Bosch-Krankenhaus bereits angeboten wird. Die Testergebnisse sind für die Patienten über eine App einsehbar und bleiben in ihrem Besitz.
Hannelore Gießen
Bosch Health Campus stärkt Gesundheitsforschung durch Datenintegrationszentrum meDIC
Am Bosch Health Campus (BHC) in Stuttgart besichtigte unsere WPK-Recherchegruppe das Centrum für Medizinische Datenintegration (meDIC). Es hat sich als Drehscheibe für ein daten- und wissensgetriebenes sowie KI-affines Gesundheits-Ökosystem etabliert. Das meDIC will klinische Daten der Regelversorgung am Robert-Bosch-Krankenhaus für die medizinische Forschung zugänglich zu machen – und zwar nach der Formel FAIR: Findable, Accessible, Interoperable, Reusable (findbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar). Dazu entwickelt es technische Lösungen und schafft organisatorische sowie regulatorische Rahmenbedingungen. Perspektivisch soll sich der BHC zu einem »Hospital 4.0« für patientenorientierte und personalisierte Spitzenmedizin formieren und dabei künstliche Intelligenz sinnvoll einsetzen.
Ein bereits umgesetztes Anwendungsbeispiel aus der Intensivmedizin ist die KI-basierte Erkennung und Vorhersage von akutem Nierenversagen (AKI) nach Herzoperationen. Wie eine interdisziplinäre Forschungsgruppe dabei herausfand, liegt die automatisch detektierte AKI-Inzidenzrate deutlich höher als bisher in den Patientenakten dokumentiert. Weitere KI-Projekte sollen das Sturzrisiko in der geriatrischen Reha bewerten, Bilddaten aus der Magnetresonanztomographie des Herzens (CMR) anreichern sowie personalisierte Zeitreihen in der Labordiagnostik analysieren.
Das meDIC kooperiert mit externen Einrichtungen wie dem Nationalen Tumor-Centrum SüdWest und dem Karlruher FZI Forschungszentrum Informatik. Ferner ist der BHC Mitglied im Medizininformatik-Konsortium »HiGHmed«, das den Datentransfer aus der Forschung in die klinische Praxis beschleunigen will. Eine neue Partnerschaft mit der ETH Zürich vergibt zudem gemeinsame Forschungsstipendien, wobei ein Stipendiat am meDIC untersuchen wird wie sich das KI-System zur Niereninsuffizienz auf die Detektion anderer medizinischer Komplikationen adaptieren ließe.
Udo Flohr
Gesundheit wird digital – Digitaler Showroom des Bosch Health Campus
Im City Standort des Bosch Health Campus findet sich der Digitale Showroom, in dem die unterschiedlichsten digitalen und KI-Innovationen präsentiert werden. Das sei ein neues Konzept, sagt Prof. Oliver Opitz vom Bosch Digital Innovation Hub. „Bisher war es schon eher eine Technikshow. Wir haben uns deswegen direkt auf die Versorgungssituation konzentriert. Wir zeigen eine Arztpraxis, Wartezimmer, Patientenzimmer oder auch die häusliche Umgebung als Versorgungssituation“. Beispielsweise kann im digitalen Empfangsraum der Praxis priorisiert werden, ob ein Patient, eine Patientin direkt einen Arzt sehen muss oder ein medizinische Fachangestellte die Betreuung übernehmen kann.
Außerdem wird eine Telematikinfrastruktur ausgestellt, die es den Patienten oder medizinischen Fachangestellten ermöglicht, Vitaldaten zu messen, ein Ultraschall- oder EKG-Aufnahme mit transportablen, app- und KI-gestützten Geräten anzufertigen und mit dem Arzt, der Ärztin in der Praxis auszuwerten. Dabei geht es darum, dem Patienten hilfreich zur Seite zu stehen, betont Prof. Opitz. „Es geht hier nicht darum, dass die KI die ärztliche Einschätzung und Leistung ersetzt, sondern es ist eine unterstützende Maßnahme um (dem Arzt/der Ärztin) Befunde auf eine wissenschaftlich nutzbare Art und Weise zur Verfügung zu stellen.“ Ziel des Showrooms ist es, die Akzeptanz und das Nutzungsverhalten sowohl auf medizinischer wie auf Patientenseite zu erhöhen, denn „Hauptwiderstände sind vor allem die mangelnde Digitalkompetenz von allen Beteiligten.“
Thomas Prinzler
Am Max Rubner-Institut
Die Nemo-Studie
Die letzte große Ernährungsuntersuchung wurde vor fast 20 Jahren (2008) mit 20.000 Probanden durchgeführt. Die aktuelle Studie „nemo“ (Abkürzung für nationales Ernährungsmonitoring) startete im September 2024 und will repräsentative Daten über das Ernährungsverhalten, den Lebensmittelverzehr, die Nährstoffzufuhr und den Nährstoffstatus in Deutschland lebender Menschen erheben. Diese Daten dienen als Grundlage für eine wissenschaftsbasierte Politikberatung und die Entwicklung von Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Ernährungssituation.
Die Studie ist eine repräsentative Stichprobe mit 3100 Probanden und berücksichtigt verschiedene Altersgruppen: Kinder ab 3 Monaten, Jugendliche und Erwachsene bis zu 80 Jahren. Interessant ist, dass die Daten nicht nur über Fragebögen und ein Online-Panel erhoben, sondern auch Blut- und Urinproben ausgewertet werden. Sogar zwei Hausbesuche pro Teilnehmenden sollen erfolgen. Trotz der geringeren Zahl der Probanden kann nemo endlich wieder wichtige neue Daten über die Ernährungssituation der Bevölkerung liefern.
Die COPLANT-Studie
Die Ende März 2024 gestartete COPLANT-Studie ist die größte Kohortenstudie zu pflanzenbetonter Ernährung im deutschsprachigen Raum.
Sie untersucht, wie sich vier verschiedene Ernährungsweisen – also vegan, vegetarisch, pescetarisch (mit Fisch) und alles-essend (omnivor) – auf unsere Gesundheit und unser Leben auswirken und will herausfinden, welche Vor- und Nachteile diese Ernährungsstile haben. Dabei schauen die Forschenden nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf soziale Aspekte. Im Gegensatz zu nemo ist COPLANT nicht repräsentativ, dafür aber viel detaillierter.
Etwa 6000 Personen werden in vier Gruppen eingeteilt und sollen für ein Jahr ihre Ernährung dokumentieren. In regelmäßigen Abständen werden u.a. die Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen, Körperfett und Knochendichte sowie langfristige Risiken und Vorteile der jeweiligen Ernährungsformen untersucht. Auch Nachhaltigkeitswirkungen wie Umwelt- und soziale Effekte werden analysiert.
Ziel ist es am Ende zu wissen, was für uns und unsere Umwelt am besten ist. Geplant ist eine Studiendauer von 20 Jahren, um wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen.
Karin Schumacher & Nicola Wettmarshausen
Bovine Meat and Milk Factors
Vortrag von Prof. Dr. Charles Franz vom Max Rubner-Institut
2019 postulierten Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums, dass von ihnen entdeckte Erreger „Bovine Meat and Milk Factors“ (BMMF) in Milch und Fleisch vom europäischen Hausrind im frühen Kindesalter übertragen werden und Jahrzehnte später Krebs erzeugen können. Die Wissenschaftler sahen einen engen Zusammenhang zwischen Konsum von Milch- und Fleischprodukten und Darm- und Brustkrebs.
Die Nachricht schlug hohe Wellen in der Presse, unter Fachleuten – darunter auch Wissenschaftler des Max Rubner-Instituts – gab es aber erhebliche Kritik an der Struktur der Studien. Ein Nachweis, dass die Behauptung nicht haltbar sei, blieb aber bis heute aus.
Bei der Presseveranstaltung der Wissenschaftspressekonferenz stellte Prof. Dr. Charles Franz eine laufende Laborstudie am Max Rubner-Institut vor, die die Behauptungen von 2019 widerlegen soll.
Die bisherigen Ergebnisse weisen nicht auf die 2019 postulierte Karzigonität der BMMF hin. Sind sie doch auch in nicht bovinen Lebensmitteln nachweisbar, und im Menschen gerade nicht im Tumorgewebe sondern in gesundem Gewebe. Zudem geben zahleiche Studien Hinweise darauf, dass der Verzehr von rotem Fleisch (aller warmblütigen Tiere) das Darmkrebsrisiko erhöht, Verzehr von Milch und Milchprodukten das Darmkrebsrisiko aber reduziert. Der Verzehr weder von rotem Fleisch noch von Milch und Milchprodukten führt zu erhöhtem Auftreten von Brustkrebs.
Die endgültigen Ergebnisse seiner Studie stellte Professor Franz für Juni 2025 in Aussicht.
Bettina Heimsoeth
ELSinA – Ernährungs- und Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in Armut
Dr. Eva Hummel, stellv. Leiterin des Instituts für Ernährungsverhalten
- Die Studie will bis 2026 mit der Hilfe von 14 armen, in Privathaushalten lebenden Senioren herauskriegen, unter welchen Problemen arme, ältere Menschen vor allem leiden: Was verhindert eine gute Ernährung? Was verhindert die soziale Teilhabe?
- Ihre Lebenssituation wird analysiert, und MIT IHNEN (und Fachleuten) werden die wichtigsten „Veränderungsbedarfe“ analysiert.
- Ein paar vorläufige, teils überraschende Beobachtungen:
Die Testpersonen kaufen nach aktuellen Angeboten ein, dazu legen sie Werbeflyer der Discounter nebeneinander – und genau das können sie mit Online-Anzeigen nicht mehr tun. - Durch fehlendes Geld ist es schwierig, an Alten-Veranstaltungen – etwa in Cafés – teilzunehmen: Weil das Geld für Kaffee fehlt und die Teilnahme ohne Bestellung peinlich ist.
- Auch Einladungen nach Hause werden als schwierig wahrgenommen – weil das Geld etwa für Kuchen fehlt.
- Schließlich würde man soziale Kontakte gleichsam „verlernen“. Es würde immer schwieriger, sich auf andere Menschen einzustellen.
- Vorratskäufe (etwa von Angeboten) seien schwierig, weil oft der Stauraum in der Wohnung fehlt.
- Naheliegende Lösungen: günstige Lebensmittel einkaufen, etwa trockene Erbsen, Linsen, Bohnen. Das setzt aber Grundkenntnisse im Kochen voraus (was ist ein Eintopf?). Die haben Viele aber nicht. Und das werde schlimmer, wenn die Jüngeren alt werden – befürchtet Frau Hummel. Eine Lösung: Kochbücher für die sparsame Küche. Oder Kochkurse (auch als Kontaktbörse).
Magnus Heier
Lebensmittelauthentizität: auch eine Frage der Digitalisierung und des Datenmanagements
Die Überwachung der Lebensmittelsicherheit und -authentizität in Deutschland ist föderal organisiert. Insgesamt sind dafür 22 Einrichtungen in den Bundesländern zuständig. Seit 2020 ist global ein signifikanter Anstieg der Zahl dokumentierter Lebensmittelbetrugsfälle zu beobachten. Insbesondere in Krisenzeiten ist die Bedeutung der Lebensmittelauthentizität stark erhöht.
Im Einklang mit der EU-Kontroll-Verordnung (EU VO 2017/625) wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) das Nationale Referenzzentrum für authentische Lebensmittel (NRZ-Authent) am Max Rubner-Institut eingerichtet. Die Aufgaben des NRZ-Authent leiten sich unter anderem aus der EU-Verordnung ab und beinhalten die Entwicklung, Validierung, Standardisierung und Implementierung von Methoden zur Erkennung von Lebensmittelverfälschung sowie die Erstellung von Referenzdatenbanken. Aufgrund mangelnder Vereinbarungen zum Datenaustausch zwischen Bund und Ländern ist der Datenbankaufbau mit rechtlichen Herausforderungen und beispielsweise der Erstellung entsprechender Kooperationsverträge verbunden.
Auf Basis von Referenzdatenbanken können Vorhersagen zur Authentizität von Lebensmitteln durch klassische statistische Modellierung oder maschinelles Lernen generiert werden. Das NRZ-Authent nimmt dabei allerdings keine rechtliche Beurteilung vor.
Die Digitalisierungsprojekte im NRZ-Authent folgen häufig einem ähnlichen Ablauf, der eine Normierungsphase, eine Probe- und Anpassungsphase sowie die produktive Bereitstellung umfasst. Ein Beispiel für ein solches Projekt ist das „Food Authenticity Knowledge Tool“ (FAKT), ein zentrales und leicht zugängliches System zur Speicherung und Suche von Informationen zur Lebensmittelauthentizität. Ein weiteres Beispiel ist die bildbasierte Erkennung von Fischarten, ein interdisziplinäres Projekt, das sich insbesondere mit der Erstellung eines geeigneten Datensatzes beschäftigt.
Das NRZ-Authent ist eine wichtige Schnittstelle für die Digitalisierung und das Datenmanagement im Bereich der Lebensmittelauthentizität und arbeitet eng mit nationalen, europäischen und internationalen Partnern zusammen. Die Arbeiten umfassen neben dem Daten- und Informationsaustausch zum Beispiel auch die Unterstützung bei Digitalisierungsprojekten.
Jonas Rietsch
Tiny TIM – die Verdauung simulieren
So klein ist «Tiny Tim» gar nicht. Die Maschine türmt sich auf einem Tisch auf, der einen beachtlichen Teil des Labors einnimmt. Ein anderes Kaliber als ein Organoid-Winzling. Aber der Simulationsapparat will mehr als ein Organ simulieren: das Verdauungssystem des Menschen. Das kann er allerdings nicht in der ganzen Breite, sondern nur auf Magen und Dünndarm beschränkt, wie Karlis Briviba, kommissarischer Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am MRI, erklärt.
Und das geht so: Man nehme einen aus Schläuchen und Glaskolben geformten Verdauungsweg, Enzyme, wie sie in unserer Verdauung vorkommen, sowie Algorithmen, welche unter anderem steuern, wann und ich welchem Verhältnis die Enzyme beigemischt werden – analog den Abläufen im menschlichen Körper. Dann füttert man Tiny TIM beispielsweise mit einem neuartigen Pflanzendrink und analysiert den verdauten Speisebrei – so wie er von unserem Darm im nächsten Schritt aufgenommen würde. Die Forschenden interessiert dabei etwa: Welche Qualität haben die darin enthaltenen Aminosäuren? Sind die Nährstoffe genügend verdaut – oder ist der Drink gar nicht geeignet für die menschliche Verdauung?
Briviba schätzt, dass die Simulation zu 95 Prozent dem entspricht, was in unserem Körper tatsächlich passiert. Daher sei der kleine Tim sehr nützlich für die Ernährungsforschung. Denn welcher echte Tim möchte sich im Rahmen einer Studie schon dauernd Proben aus dem Magen entnehmen lassen? «Tim» bedeutet übrigens «TNO Intestinal Models». Entwickelt wurde die Simulation nämlich seit den 1990er-Jahren von Forschenden der Dutch Organization for Applied Scientific Research (TNO).
Adrian Ritter
Jeder Versuch, Ess-Sünden zu vertuschen, ist zwecklos – der Gaschromatograph findet (fast) alles raus
Eine „spezielle“ Gas-Chromatographie-Methode, so Carina Mack vom Institut für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse des MRI, untersucht komplexe Blut- und Urin-Proben auf den Gehalt an Zucker – sowohl die Menge als auch die Art des Zuckers. Die Methode kann bis zu 80 verschiedene Zuckerarten, auch Zuckersäuren und Zucker-Alkohole, identifizieren. Es wird quasi eine Art Fingerabdruck des jeweiligen Zuckers erstellt. Damit kann – über die Analysen der Proben – festgestellt werden, welche Zucker Probanden gegessen haben. Unabhängig von dem, was sie in einer Befragung angegeben haben: Lügen hilft nichts, die Ess-Sünde wird unerbittlich erkannt.
Über die Methode können auch Proben von Lebensmitteln analysiert werden: Welche Zucker sind enthalten, wie sind diese getrocknet oder gelagert worden? Und damit sind auch Rückschlüsse auf die ursprünglichen Lebensmittel möglich, beispielsweise aus welchen Äpfeln ein Apfelsaft besteht.
Mit der Analyse-Methode können auch Zucker in menschlichen Proben detektiert werden, die möglicherweise einen Hinweis auf eine beginnende Diabetes-Typ2-Erkrankung geben.
Jan Kerckhoff
Biomarker für gesunde Ernährung
Ein Badezimmer mit zwei Toiletten: So sieht die Einrichtung eines Probandenzimmers im Max Rubner-Institut in Karlsruhe aus. Eine normale Toilette und eine Gefriertoilette. So können Stuhlproben von Studienteilnehmenden besser erhalten und auch untersucht werden, erzählt Stephanie Seifert. Sie ist Wissenschaftlerin am Max Rubner-Institut und ist unter anderem mitverantwortlich für die PLAENTI-Studie. Dessen Ziel ist es, die Erfassung von Ernährungsdaten zu verbessern, indem die Forschenden untersuchten, ob die Qualität der Ernährung ihrer Probanden mit bestimmten Stoffwechselprodukten in Blut und Urin korrelieren.
An der Studie nahmen über 60 Personen teil. Vier Gruppen konsumierten über zwei Wochen hinweg pflanzliche Lebensmittel in unterschiedlicher Menge und mit variierenden gesundheitlichen Eigenschaften:
- geringer, 2. mittlerer, 3. hoher Anteil gesundheitsfördernder pflanzlicher Lebensmittel sowie 4. Mischkost, also neben pflanzlichen Lebensmitteln aßen die Probanden auch tierische Lebensmittel.
Zu verschiedenen Zeitpunkten nahmen die Forschenden Blut- und Urinproben. Eine Schwachstelle der Studie: Die Probanden bekamen das Essen nach Hause geliefert. Inwiefern die Teilnehmenden sich genau an die Vorgaben hielten, ist also eine Frage des Vertrauens. Doch Stephanie Seifert findet, dass die Studie gut funktionierte: Von ursprünglich 66 Teilnehmenden blieben 59 bis zum Ende dabei. Die Forschenden werten die Ergebnisse jetzt aus und veröffentlichen sie zeitnah.
Nele Rößler
Fotocredits: Magnus Heier, Lynda Lich-Knight, Thomas Prinzler