Hoch hinaus – Spitzenforschung zu KI, Nachhaltigkeit und Hochgebirge

WPK-Recherchereise in die Schweiz, 07.-13.05.2023

 

„Bei uns gibt es viel Spannendes zu erfahren“, versicherte mir im Herbst 2022 Helga Rietz-Pankoke, Science Communication Manager am AI-Center der ETH Zürich. Wir könnten eine WPK-Reise in die Schweiz planen und auch die dort ansässige Unternehmensforschung, Nachhaltigkeitsthemen und urschweizerische Forschungsgebiete wie Schnee- und Lawinen- sowie Hochgebirgsforschung erkunden. What’s not to like? Die Finanzierung!

WPK Reisegruppe sitzt auf einer Treppe

Langwierige Bemühungen später, die allerdings zu einer großzügigen Förderung vom Schweizerischen Nationalfonds, dem ETH-Rat, den Schweizerischen Akademien und swisstech – dem Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA sowie vom ETH-AI-Center und den einladenden Instituten führten, bedeuteten, dass die Reise auch finanziell zu stemmen war. Am 7. Mai 2023 brachen 13 WPK-Mitglieder – Covid machte kurzfristig eine Teilnahme leider unmöglich – in die Schweiz auf.

Was wir dort alles erlebt haben (Link zum Programm) und wie es uns ergangen ist, erfahrt Ihr im Folgenden. Großen Dank an alle gastgebenden Institute!

Lynda Lich-Knight

 

 

Empa, Materials Science and Technology, Dubendorf, https://www.empa.ch/


Smarte Drohnen und das NEST

„Das sieht ja gut aus“, raunt es. „Das hebt sich richtig vom Einheitsgrau der Bürohäuser ab“, folgt die Zustimmung aufs Wort. Das große Gebäude direkt voraus weckt unser Interesse und regt die Fantasie an. Auf den ersten Blick sieht es aus, als hätte ein riesiger Baumarkt seinem Sortiment eine Freiluftausstellung spendiert. Eine Wohneinheit mit Holzfassade steckt neben einer aus Glas und Metall. Beinahe so, als hätte sie ein Riese in einen überdimensionalen Setzkasten mit Zwischenwänden aus Beton platziert. „Das sieht nach einem Spielplatz für Architekten aus.“ „Oder für Materialforscher.“ Bingo. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Denn heute sind wir zu Gast bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, kurz EMPA. Und vor uns liegt die erste Station des Tages erreicht: das NEST.

 

Das Bauen der Zukunft, so sagt man uns, würde hier erforscht werden. Dabei ginge es einerseits um nachhaltige Baustoffe. Die Küchenarbeitsplatten aus Altglas, die wir in einer der NEST-Wohnungen bestaunen, werden noch allgemein mit Kopfnicken goutiert. Die Furniere der Küchenzeile ernten hingegen Stirnrunzeln und die eine oder andere hochgezogene Augenbraue. Nicht unbedingt, weil sie aus Gemüseabfällen bestehen. Es ist eher das Aussehen, was zu Diskussionen führt. Doch das trifft eben die Idee des NEST im Kern – es soll ausprobiert werden. Und ausgiebig getestet. Denn jeder Quader ist tatsächlich auch ein Heim auf Zeit. Hier soll sich die Forschung ausprobieren; und die Industrie neue Produkte entwickeln können. „Die Innovationen im Bausektor kommen nicht schnell genug auf den Markt“, erzählt uns NEST-Geschäftsführer Reto Largo. „Investoren und Bauplaner sind risikoavers, wenn es um neue Konzepte geht. Deshalb stellen wir eine Validierungsumgebung in einer idealen Welt zur Verfügung.“

Kurz darauf stehen wir in einem anderen Teil des NEST. Hier gehen die Forscher der Frage nach, wie man Roboter im Dienste der Nachhaltigkeit nutzen kann. Es geht um Drohnen. Einige davon stehen auf einem großen Tisch vor uns. Die sollen in Zukunft nicht nur zu Wartungszwecken an Gebäuden oder Offshore-Anlagen eingesetzt werden, sondern auch selbstständig Umweltmessungen ausführen. Deshalb wird hier unter anderem daran geforscht, wie sich biologisch abbaubare Roboter herstellen lassen; wie Drohnen autonom Sensoren anbringen und Proben entnehmen können; zwischen Luft und Wasser operieren lernen; oder einfach smarter werden. Dafür, so verrät man uns, wird das NEST demnächst eine ganz spezielle Voliere auf dem Dach erhalten. In diesem Drone Hub sollen die kleinen Flieger dann unter möglichst natürlichen Bedingungen auf Motor und Batterie getestet werden.

Kai Dürfeld

 

 

   

 

 

Dekarbonisierung in der Schweiz

Um die Klimaziele des Schweizer Bundesrats bis 2050 zu erreichen, haben Wissenschaftler der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt EMPA einen Masterplan erarbeitet, der auch für viele andere Regionen weltweit als Vorbild dienen könnte.

Kristina Orehounig stellte beim Besuch der WPK im EMPA das Konzept vor. Um die ehrgeizigen Dekarbonisierungsziele von Netto-Null Kohlendioxidausstoß bis 2050 überhaupt erreichen zu können, sei es vor allem wichtig die einzelnen Maßnahmen gut aufeinander abzustimmen und in der richtigen Reihenfolge durchzuführen. Damit das gelingt, erarbeiteten Orehouning und ihr Forscherteam ein Konzept für Planer und Entscheider mit Hilfe von „Data-Mining“ und maschinellem Lernen.

Unter anderem verschafften sie sich einen Überblick über den Sanierungsbedarf der rund 1,8 Millionen Wohngebäude in der Schweiz. Für jedes einzelne Haus die vollständigen Daten zu ermitteln und zu bewerten, wäre ein enormer Aufwand, der kurzfristig nicht zu leisten ist. Deshalb durchforsteten die Wissenschaftler nationale Datenbanken und gruppierten die Gebäude in 50 verschiedene Typen, sortiert nach Baujahr, Heizungstyp und Anzahl der Bewohner. Ähnlich gingen sie bei Gewerbebauten vor und kategorisierten diese beispielsweise zusätzlich in Restaurants, Schulen, Spitäler, Büros und Ladengeschäfte, jeweils unterteilt nach Größe und Baujahr. Auf dieser Grundlage wurde dann der Sanierungsbedarf und die Eignung für Photovoltaik ermittelt.

Daraufhin unterteilten die Forscher die Schweizer Landesfläche in Kacheln von einem
Quadratkilometer Größe. Kacheln ohne Häuser ignorierten sie bei der weiteren Analyse. So entstand unter anderem ein Raster, das zeigt welche Regionen vorrangig und mit welchem Aufwand saniert werden sollten. Eine eigens entwickelte Software, mit der sich das planerische Vorgehen optimieren lässt (Symphony), und Vorschläge zur energetischen Vernetzung von Quartieren runden das EMPA-Decarbonisierungskonzept ab. Kristina Orehounig ist von dessen Wirkung überzeugt: „Damit können die Treibhausgasemissionen im bestehenden Gebäudepark der Schweiz um 60 bis 80 Prozent gesenkt werden.“

Rüdiger Braun

 

Empa – Move

An ihrem Mobilitätsdemonstrator move erprobt die Empa in Zusammenarbeit mit der Industrie Konzepte für die Fortbewegung mit erneuerbarer Energie, vor allem das Betreiben von Fahrzeugen mit Strom und Wasserstoff sowie mit synthetischen Treibstoffen. Auch das autonome Fahren ist hier ein Thema. Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme, begrüßte unsere Gruppe bei Sonnenschein an dem futuristisch angehauchten move-Gebäude mit der Wasserstofftankstelle außen und der Elektrolyseanlage innen.

Weltweit herrsche kein Energieproblem, sagte er − allerdings stehe die Energie nicht immer zu der Zeit und in der Form zur Verfügung, wenn und wie wir sie brauchen, sprich, es herrsche ein Verteilungsproblem. Dafür will die Empa mit ihrem move-Demonstrator Lösungen finden. Einfach nur Autos mit erneuerbarer Energie aufzuladen, ist laut Bach nicht klimawirksam, da diese Energie an anderer Stelle fehle. Stattdessen müsse die Energie für Fahrzeuge in ein gemeinsames Energie-Management-System für das gesamte Quartier integriert sein. So wird an der Empa überschüssige Energie aus dem Forschungsgebäude NEST − ein Empa- und Eawag-Projekt − in move gespeichert, etwa in Salzschmelzbatterien oder in Form von Wasserstoff.

Die Elektrolyseanlage spaltet entsalztes Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Der Sauerstoff wird an die Außenluft abgegeben, der Wasserstoff über mehrere Schritte verdichtet auf bis zu 900 bar. Bei der Verdichtung gingen zwar 30 bis 40 Prozent der ursprünglichen Energie verloren; die Flexibilität, die man durch die Umwandlung erhält, sei das aber wert. Christian Bach vergleicht das Umwandeln von Strom in speicherbaren Wasserstoff mit dem Marmelademachen: Erdbeeren im Sommer einzukochen koste zwar Energie, erlaube es uns aber, auch im Winter (verarbeitete) Erdbeeren zu essen.

Sinnvoll sei die Produktion von Wasserstoff vor allem in Wüstenstaaten mit viel überschüssiger Sonnenenergie. Oman plant Pilotprojekte dieser Art auf zehntausenden Quadratkilometern, bei denen auch die Empa beteiligt ist.

Die Wasserstofftankstelle an der Empa ist eine von bisher zwei in der ganzen Schweiz. Betankt werden kann mit 700 oder 350 bar, und das Kilo kostete bei unserem Besuch 13 Schweizer Franken. Da sich Wasserstoff beim Expandieren erwärmt, muss er vorgekühlt werden, weshalb recht viel Technik involviert ist. Christian Bach sieht Wasserstoffautos als eine gute Alternative für die Fälle, in denen E-Autos an ihre Grenzen stoßen, eine wirkliche Konkurrenz zu Elektroautos seien sie aber nicht.

 Brigitte Osterath

 

Auf dem Weg zu klimafreundlichem Beton?

Zement ist einer der wichtigsten Bestandteile von Beton. Bei seiner Herstellung werden große Mengen Kohlendioxid frei. Empa-Forscher arbeiten an alternativem Zement, der deutlich weniger Emissionen verursacht oder sogar das Treibhausgas Kohlendioxid binden kann, sowie an Material, das die klassischen Betonkomponenten ersetzen kann.

Beim Besuch der WPK-Journalistengruppe bei der EMPA in Dübendorf bei Zürich gaben die Wissenschaftler Barbara Lothenbach, Ellina Bernard und Andreas Leemann einen Überblick über die Betonforschung und das Bauen mit Lehm im EMPA-Betonlabor.

Bei der Produktion von Zement, dem bislang unentbehrlichen Bindemittel im Beton und im Mörtel, ist ein Erhitzen auf etwa 1450 Grad Celsius erforderlich. Zudem wird dabei CO2 frei. Das macht die Zementherstellung zu einem Klimakiller. Sie verursacht über acht Prozent der weltweiten vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen.

   

Neben Methoden, um die Brenntemperatur von Zement deutlich zu senken, experimentieren EMPA-Forscher derzeit mit einem auf Olivin-Gestein beruhenden Beton, der Kohlendioxid binden soll, statt das Treibhausgas freizusetzen. Das Gestein kann an vielen Orten weltweit an der Oberfläche abgebaut werden und enthält große Mengen Magnesiumsilikat. Das daraus gewonnene Magnesiumoxid lässt sich mit Wasser und CO2 zu einem Zement verarbeiten, der dauerhaft mehr Kohlendioxid bindet als bei seiner Herstellung emittiert wird. Anders als herkömmliche Zemente, deren Aushärtung und Bindefähigkeit bis in detailliert erforscht sind, wirft dieser Ökozement noch viele Fragen auf. Das Forschungsprojekt «Low Carbon    Magnesium-Based Binders» unter Leitung der Empa-Expertin Barbara Lothenbach soll bald Antworten liefern, ob das Verfahren geeignet ist, klimafreundlichen Beton herzustellen.

Ein weiteres Thema bei unserem Besuch war die „Mica-Krise“ in Irland. Nach aufwändigen Analysen haben Empa-Forschende die Ursache des Beton-Skandals in der irischen Grafschaft Donegal gefunden, wo rund 20.000 Häuser bereits wenige Jahre nach dem Bau so stark geschädigt waren, dass teure Reparaturen oder gar Abbrüche nötig wurden. Der Grund, so dachten Experten lange, sei ein zu hoher Glimmergehalt im Beton. Die Empa-Wissenschaftler konnten in Zusammenarbeit mit irischen Forschern das schwefelhaltige Mineral Pyrrhotin als Ursache identifizieren, das vorschriftswidrig verbaut wurde.

Ellina Bernard demonstrierte uns außerdem welche vielfältigen Formen von Baumaterialen sich aus Lehm fertigen lassen, ohne dass dieser gebrannt werden muss. Sie testet Zusatzstoffe, durch die sich die Festigkeit und die Verarbeitung des ursprünglichen Baustoffs verbessern lassen.

Rüdiger Braun

 

Empa – Batterierecycling Circubat

 

Wie Lithium-Ionen-Batterien nachhaltiger werden können, erforscht das Projekt Circubat, an dem die Empa beteiligt ist, zusammen mit Berner Fachhochschule, Universität St. Gallen, Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique, Swiss Battery Technology Center, EPFL und Ostschweizer Fachhochschule. Ein wichtiger Teilaspekt ist das Batterie-Recycling, das uns Empa-Forscher Edouard Quérel erklärte. Um einen Lithium-Ionen-Akku energiesparend zu recyceln, darf er nicht komplett geschreddert werden, um die Elektroden und anderen Bestandteile hinterher von klein auf neu aufzubauen. Stattdessen sollte man die Kristallstrukturen der Oxide in den Elektroden intakt halten, erklärte Quérel. So ließen sich mit geringer Energie neue Elektroden bauen − direktes Recycling statt Hydrometallurgie. Das Schweizer Unternehmen Kyburz hat ein solches Direkt-Recycling-Verfahren für Lithium-Eisen-Phosphat-Elektroden entwickelt; dabei wird die Batterie aufgesägt, Kathode, Anode und Separator werden voneinander getrennt und die Materialien von Kathode und Anode separat zurückgewonnen.

An der Empa arbeiten Forschende daran, dieses Verfahren zu optimieren und auch auf andere Batterietypen neben der Li-Ionen-Batterie anzuwenden. Außerdem soll der Herstellungsprozess der Batteriezellen energiesparender werden. Das Trocknen der Elektrodenbeschichtung nach ihrem Aufbringen benötigt viel Energie. Mit einer trockenen Beschichtung entfiele dieser Schritt. Edouard Quérel zeigte uns die Labore, wo sich die Forschenden der Empa mit diesen Forschungsfragen beschäftigen.

 Brigitte Osterath

 

ETH – AI Center, Oerlikon, https://ai.ethz.ch/, ETH https://ethz.ch/de.html

 

Die Vermessung der Wälder

KI und Naturschutz – zwei Themen, die hochaktuell sind. Aber wie passen sie zusammen? David Dao versucht es an diesem Morgen im ETH AI Center mit einem Wortspiel: „If you can’t measure it, you can’t treasure it.“ Der Doktorand arbeitet mit seiner Forschungsgruppe zur Vermessung der Wälder rund um den Globus. Um den Verlust von Regenwäldern zu verhindern und den Erfolg von Wiederaufforstungsprojekten zu messen, braucht es vor allem eines: verlässliche Daten. Grundlage für die Finanzierung und Zertifizierung von CO2-Ausgleichsmaßnahmen ist die in Bäumen gespeicherte Kohlenstoffmenge. Ein wichtiger Indikator dafür ist die Baumhöhe. „95 Prozent der Biomasse im Wald stecken im Holz und nicht in den Blättern“, erklärt Dao. Noch werden Wälder von Hand vermessen. Was nicht nur zeit-, arbeits- und kostenintensiv ist, erweist sich auch als ungenau. „Bisherige Verfahren haben die CO2-Speicherung um das Doppelte oder Fünffache, mitunter sogar um das Zehnfache überschätzt“, so der Datenwissenschaftler.

Im AI Center entwickeln ETH-Forschende selbstlernende Machine Learning-Algorithmen, die es ermöglichen, Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und präzisere Bewertungen zu schaffen. Ein Ergebnis ist die erste Vegetationshöhen-Weltkarte, die erstmals mit maschinellen Deep Learning aus optischen Satellitenbildern Baumhöhen bis zu 55 Meter zuverlässig einschätzen kann. „Wir können bis zu 10×10 Meter an jedes Waldstück der Erde heranzoomen“, sagt Professor Jan Dirk Wegner. Wie der Naturschutz künftig von solchen KI-Lösungen profitieren kann, erklärt Datenwissenschaftler am ETH-​Departement für Bau, Umwelt und Geomatik am Beispiel vom Kakaoanbau in Westafrika: Anhand von Plantagen-Daten und Satellitenbildern hat eine Forschungsgruppe mithilfe eines neuronalen Netzwerks den Verlust von Waldschutzgebieten ermittelt. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass offizielle Angaben zu Anbauflächen die Ausweitung allein in Ghana um bis zu 40 Prozent unterschätzen“, so Wegner. Der Biodiversitätsverlust sei offenbar deutlich höher als angenommen. An der Elfenbeinküste ist der Kakaoanbau für mehr als 37 Prozent des Waldverlustes in Schutzgebieten verantwortlich, stellten die Forschenden fest.

Künftig könnten KI-Lösungen Kompensationsprojekte und Wiederaufforstungsprogramme durch Fernerkundung genauer quantifizieren, überwachen und verifizieren. „Auf diese Weise gelingt es, das Vertrauen in Klimaschutz- und Kompensationsmaßnahmen zu stärken“, sagt Dao. Seine KI-Lösung GainForest setzt auf die Beteiligung der indigenen Bevölkerung in Regenwäldern. Sie fotografieren Bäume in einem bestimmten Gebiet und laden sie über eine App auf die Plattform hoch. Im Hintergrund kombiniert ein neuronales Netzwerk die Daten mit Satelliten- und Drohnenaufnahmen. So werde das Wachstum der Bäume vor Ort viel präziser erfasst und die Menschen unmittelbar am Waldschutz beteiligt. Und das zahlt sich aus: Denn die Spenden, die GainForest für den Naturschutz sammelt, gehen automatisch per Blockchain-Token an die lokalen Helfer, sobald die Vorgaben für ihr Schutzgebiet erreicht werden.

Lang, N., Jetz, W. Schindler, K., Wegner, J.D. (2022): A high resolution canopy height model of the Earth, arXiv:2204.08322

Kalischek, N., Lang, N. et al. (2023): Cocoa plantations are associated with deforestation in Côte d’Ivoire and Ghana. Nature Food 4, 384-393

https://gainforest.app/


Kira Crome

 

 

Wie wird KI genutzt?

Entscheidungsfindung in internationalen Beziehungen und nachhaltiges Bauen mittels KI

In der Pause wird Computer gespielt: An einem Simulator können Operationen im Bauchraum geübt werden und bei den Morph Tales erbauen die Spielenden eine Stadt für knuffige Monster. Mit diesem Spiel soll bei Kindern das Interesse für Künstliche Intelligenz geweckt werden.

Es geht ernsthafter weiter: Mittels künstlicher Intelligenz politische Entscheidungen treffen – das ist das Thema des ersten Vortrags nach der Pause. Das Ziel ist die Friedenssicherung, wie Niklas Stöhr erklärt. Er ist Doktorand am Institut für maschinelles Lernen der ETH Zürich. Seine Arbeit schreibt er im Bereich Natural Language Processing, ein interdisziplinäres Fachgebiet bestehend aus Linguistik, Informatik und künstlicher Intelligenz. Mit ihr soll menschliche Sprache interpretiert und verstanden werden. Aber sie kann so auch manipuliert werden. Der Lebenslauf des Doktoranden Niklas Stöhr führten zu seiner Thesis: Ein Praktikum bei dem Medienunternehmen Bloomberg und dem Auswärtigen Amt zeigten ihm, wie viele sozio-politische Ereignisse es täglich gibt. Um das Konfliktmanagement zu erleichtern, will Stöhr quantitative Methoden nutzen – das heißt, politische Ereignisse werden erfasst und mit anderen Konflikten mittels Datenanalyse abgeglichen, so sollen Gemeinsamkeiten herausgefiltert werden. Mit Hilfe dieses Wissen sollen zum Beispiel Frühwarnsysteme für politische Konflikte wie Bürgerkriege entwickelt werden.

Es folgt Catherine De Wolf mit einem Vortrag über „Digitale Transformation für zirkuläres Bauen“. Die Assistenz-Professorin ist vom MIT Technology Review in die „Innovators Under 35“ aufgenommen worden, unter anderem für ihre Datenbank zur Verfolgung von Materialbeständen und die Treibhausgas-Emissionen von Hunderten von Gebäuden weltweit. Außerdem versucht sie, verschiedene Stakeholder der digitalen Kreislaufwirtschaft miteinander zu vernetzen. De Wolf will die Bau- und Gebäudewirtschaft klimafreundlicher gestalten. Dieser hinkt laut eines UNO-Berichts beim Treibhausgasausstoß bei den im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegten Zielen hinterher. Der Sektor macht mittlerweile fast 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus.Catherine De Wolf will diese unter anderem durch eine Art Materialpass verringern, der Angebot und Nachfrage nach wiederverwendeten Materialien miteinander verbindet. Außerdem arbeitet sie mit an einem Projekt, bei dem eine KI vorhersagt, wann und wo Baumaterialien zur Wiederverwendung zur Verfügung stehen werden.

Die beiden jungen Forschenden des neu gegründeten AI-Centers der ETH Zürich wollen die Welt also ein bisschen friedlicher und grüner gestalten – mittels Big Data und Künstlicher Intelligenz.

Nele Rößler

 

ETH Zürich

Wasserfilter für sauberes Wasser und Goldwäsche

Trinkwasser ist eine der größten Herausforderungen der Welt. Raffaele Mezzenga, Professor für Lebensmittel und weiche Materialien der ETH Zürich, entwickelt mit seiner Arbeitsgruppe Hybrid-Filtermembranen, die effektiv und einfach große Mengen Wasser von Schwermetallen und anderen Schadstoffen befreien können. Die Methode lässt sich sogar für die Wiedergewinnung von Gold nutzen.

Die Filter bestehen aus denaturierten Molkeproteinfasern und Aktivkohle, die auf einen Träger, z.B. Zellstoff-Filterpapier, aufgebracht werden. Mithilfe eines Vakuums wird das verunreinigte Wasser durch die Membran gesogen. Die Schadstoffe docken an den zahlreichen Bindungsstellen der Proteine an. Die Aktivkohle absorbiert große Mengen von Giftstoffen, was die Sättigungsgrenze der Membran nach oben verschiebt. Die Proteinfasern geben der Membran eine mechanische Stärke und erlauben die chemische Umwandlung der gefangenen Ionen in wertvolle metallische Nanopartikel.

Mit dieser Methode lassen sich auch Gold-Cyanide zurückgewinnen, welche die Elektroindustrie häufig für die Herstellung von Leiterbahnen auf Platinen verwendet.

Durch diese moderne „Goldwäsche“ kann das Filtersystem einfach und profitabel einen wichtigen Beitrag zum Gold-Recycling leisten.

Literatur:

Bolisetty, S., Mezzenga, R. Amyloid–carbon hybrid membranes for universal water purification. Nature Nanotech 11, 365–371 (2016). https://doi.org/10.1038/nnano.2015.310

Karin Schumacher

 

 

Kerosin aus dem Solarkraftwerk

Synthetisches Kerosin ist die große Hoffnung der Luftfahrt, um auch in Zukunft möglichst klimafreundlich fliegen zu können. Denn rein elektrische Antriebe werden wegen des hohen Gewichts und mangelnder Energiedichte selbst bester Lithium-Ionen-Batterien höchstens für kleine Sportflieger genügen. Große Passagierjets bleiben dagegen weiterhin auf flüssige Treibstoffe angewiesen. Das begehrte Kerosin erzeugte nun eine europäische Forschergruppe um Aldo Steinfeld von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich allein aus Wasser, Kohlendioxid und solarer Hitze.

„Wir sind die Ersten, die die gesamte thermochemische Prozesskette von Wasser und CO2 bis zum Kerosin in einem Solarturmsystem demonstrierten“, sagt Aldo Steinfeld. Dazu nutzte er mit seinen Kollegen zuerst testweise eine kleine Solaranlage in Zürich und später sogar ein Solarkraftwerk in Móstoles nahe Madrid. 169 Spiegel – so genannte Heliostate mit jeweils drei Quadratmeter Spiegelfläche – lenkten dazu einfallendes Sonnenlicht gebündelt auf die Spitze eines Solarturms. Dort befindet sich der Reaktorraum, in dem extrem hohe Temperaturen von bis zu 1500 Grad Celsius erreicht werden können.

Herzstück des Solarreaktors ist ein gut 18 Kilogramm schwerer Block aus einer hochporösen Ceriumoxid-Keramik. Durch diese Kammer ließen die Forscher Kohlendioxid und Wasserdampf strömen. Dank der hohen Temperatur gab das Ceriumoxid zuerst etwas Sauerstoff ab. Darauf reagierte es sowohl mit Wasser als auch Kohlendioxid und entriss diesen Molekülen wieder Sauerstoff. Das Ergebnis: Ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Dieses Syngas leiteten die Forscher in einen weiteren Reaktor am Fuße des Solarturms. Dort wurde es zu flüssigen Treibstoffen wie Kerosin oder Diesel umgewandelt.

Noch ist die Effizienz dieses „Sun to Liquid“-Verfahrens gering. Aber immerhin konnten 4,1 Prozent der Energie des Sonnenlichts in das Syngas-Gemisch überführt werden. Steinfeld und Kollegen halten es sogar für möglich, durch weitere Optimierungen der Prozessschritte und des Keramikblocks einen Wirkungsgrad von bis zu 15 Prozent zu erreichen. Schritt für Schritt könnten auf den Erfolgen dieses von der EU geförderten Projekts aufgebaut und größere Solarturmanlagen konzipiert werden, um die noch hohen Kosten für solar erzeugtes Kerosin drastisch zu senken. Und in nicht allzu ferner Zukunft wäre es ebenfalls möglich, ausreichende Mengen an Kohlendioxid für diese Treibstoff-Produktion direkt aus der Luft zu entnehmen. Erste Versuche dazu laufen mit einer Direct Air Capturing (DAC) Anlage des ETH-Start Ups Climeworks auf dem Dach von Steinfelds Institut in Zürich. Wird das Kerosin danach wieder in den Flugzeugtriebwerken verbrannt, wird es wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Unterm Strich wäre so ein klimaneutrales Fliegen mit Solarenergie möglich.

Jan Oliver Löfken

 

 

ETH Zürich – Student Project House

Das Projekt ist eine Art kreativer Spielplatz für Studentinnen und Studenten. Im Erdgeschoss gibt es technische Arbeitsplätze zur freien Nutzung: „makerspace“. Es gibt handwerkliche Arbeitsplätze mit großem Werkzeugschrank, es gibt Nähmaschinen, es gibt Laserfräsen für Holz, es gibt – natürlich – 3-D-Drucker, mehr als zwei Dutzend. Die Nutzung ist jeweils frei, Verbrauchsmaterialien werden ersetzt (Anmerkung: Dieser Raum erinnert an das Erdgeschoss der finnischen Bibliothek Oodi in Helsinki – die allerdings ist für Alle frei: https://oodihelsinki.fi/).

In den höheren Stockwerken gibt es Tische, Sessel, Sitzbälle, Flächen, schallgeschütze Kammern: Hier sollen sich Studenten unterschiedlicher Studiengänge zusammenfinden und Projekte erfinden: „ideaspace“. Das Ganze in spielerischer Umgebung. Es geht nicht um Forschung, es geht um die Umsetzung von Ideen, von interdisziplinären Spielen, wirtschaftlichen Ideen, um Projekte für den Markt.

 

 

Im Hörsaal, ein offener Raum über mehrere Etagen neben dem Treppenhaus werden uns Projekte vorgestellt:

  • URBNC3 – every foot is unique. Eine tatsächlich schon existente Firma, die Füße vermisst und individuelle Sandalen herstellt – in eher schlichter Ausführung. Die Produktion ist übrigens in Polen – Umsätze verraten sie nicht.
  • Eine zweite Firma „produziert“ ebenfalls in Polen. Das Produkt ist uns zunächst nicht ganz klar. Tatsächlich geht es um CAPTCHAs (completely automated public Turing test to tell computers and humans apart) – die Bilder, auf denen nur ein Mensch eine Ampel/ ein Auto/ ein Irgendwas erkennen können soll. Einer der Studenten erklärt, dass es einen Riesenmarkt für diese Fotos gebe, mit denen KI gefüttert werden muss. Das Erkennen durch Menschen ist teuer. Sie bieten diese Dienstleistung indirekt an, indem sie die Aufgabe von Internetusern umsonst machen lassen: Sie kaufen Werbung, etwa für Zeitschriften, und schalten stattdessen diese CAPTCHAs statt Produktwerbung vor. In Polen – nicht, weil Polen billiger arbeiten, sondern weil Werbung in Polen billiger ist.

UND: Er erzählt, dass die ETH studentische Projekte, die hier im Student Project House entstehen, mit einer Anschubfinanzierung unterstützt – nicht rückzahlbar! UND: Er lobt die Kultur des Scheitern-dürfens!

http://sph.ethz.ch/

https://ethz.ch/de/die-eth-zuerich/lehre/sph.html

Magnus Heier

 

IBM Research Europe, Rüschlikon, https://www.zurich.ibm.com/

 

Die IBM Quantum Roadmap

Schon seit den 1960er-Jahren erkundet IBM das Potenzial von Quanten zur Speicherung und Verarbeitung von Daten. Anfangs ging es um Theorien und Algorithmen, es folgten lange Jahre des Experimentierens und Optimierens – bis das amerikanische Unternehmen im Jahr 2016 erstmals einen Quantencomputer mit damals fünf Qantenbits (Qubits) vorstellte. Am 8. Mai, in der Woche unseres Besuchs im renommierten IBM-Forschungszentrum Zürich, wurde der bisher leistungsfähigste Quantenprozessor namens Osprey mit 433 Qubits zur kommerziellen Nutzung in der IBM-Cloud freigeschaltet. Wesentliche Beiträge dazu kommen aus dem europaweit größten IBM-Labor im Ortsteil Rüschlikon, hoch über dem Zürichsee.

Die Quanten-Rallye nimmt gerade richtig Fahrt auf: Bereits Ende dieses Jahres will IBM mit „Condor“ 1121 Qubits auf einen Chip bringen, mit „Flamingo“ im Jahr 2024 mindestens 1386 Qubits und „Kookaburra“ soll ein Jahr später bereits 4158 Qubits aufweisen. Darüber hinaus arbeite man bei IBM daran, die Fehlerrate von Quantencomputern zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit von Quantencomputern kontinuierlich zu erhöhen, sagte Heike Riel bei der Vorstellung der ehrgeizigen Quantum Roadmap ihres Unternehmens. Die Physikerin (und Möbelschreinerin mit Gesellenbrief) kam vor 25 Jahren zu IBM in Rüschlikon, wo sie heute die Forschung zu Quanten- und Informationstechnologien leitet und als IBM Fellow besondere Forschungsfreiheiten genießt. Bisher habe ihre Firma alle Ziele des 2020 vorgestellten F&E-Fahrplans erreicht und sie sei überzeugt, dass dies auch in den nächsten Jahren gelingen werde. In den kommenden Jahren wolle IBM vor allem die Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit von Quantenrechnern verbessern, sagte Riel. Kurz nach unserem Besuch in Rüschlikon verlängerte das Unternehmen seine Roadmap bis ins Jahr 2033: Dann will es ein 100.000-Qubit-System vorstellen.

  Dass Quantencomputer in den nächsten zehn bis 20 Jahren klassische Computer verdrängen, sieht Heike Riel nicht. „Beide Systeme haben ihre Stärken, die sie für bestimmte Anwendungen prädestinieren“, sagte die 52-jährige Physikerin nach ihrem Vortrag. Konventionelle Rechner eigneten sich hervorragend für die serielle Datenverarbeitung, beispielsweise bei der Arbeit mit Texten und Tabellen. Demgegenüber seien die aktuell noch sperrigen und auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt zu kühlenden Quantencomputer weitaus besser im Lösen hochkomplexer Aufgaben, die klassisch nicht lösbar seien. Von der potenziell millionenfach erhöhten Rechenleistung gegenüber heutigen Computern könnten sehr viele Anwendungsbereiche profitieren, etwa in Chemie, Materialwissenschaft, Pharmakologie und physikalischer Grundlagenforschung, aber auch in Finanzindustrie und Klimaforschung. Hier engagiere sich IBM maßgeblich beim Aufbau einer internationalen Forschungseinrichtung namens New York Climate Exchange, die neue Strategien gegen die Klimakrise erarbeiten soll, berichtete Heike Riel. Ihr Unternehmen entwickle zudem Lösungen, um Hochleistungscomputer bekannter Bauart und Quantencomputer miteinander zu verbinden.

Neben der enormen Rechenleistung punkten Quantencomputer trotz obligatorischer Kühlung mit hoher Energieeffizienz. Heike Riel: „Moderne Hochleistungscomputer verbrauchen heute etwa tausend Mal mehr Energie, bei älteren Modellen ist der Unterschied sogar noch größer.“

Derzeit erledigen Quantencomputer relativ bescheidene Aufgaben, doch angesichts der rasanten Entwicklung werden sie die heute besten Rechner in etlichen Bereichen wohl schon bald übertreffen. Weltweit seien derzeit 20 IBM-Quantencomputer im Einsatz, berichtete Heike Riel. Ein besonders leistungsstarkes Exemplar stehe seit Anfang 2021 in Ehningen bei Stuttgart. Es heißt IBM Quantum System One, Zugriff hat die Fraunhofer-Gesellschaft und betrieben wird es durch IBM in Baden-Württemberg.

Lilo Berg

 

Wie füttere ich einen Quantencomputer?

Die Entwicklung und der Betrieb von Quantencomputern ist ein noch relativ neuer Schlüsselbereich des Technologiekonzerns IBM. In seinem Forschungszentrum in Rüschlikon bei Zürich werden dazu zwar keine Quantencomputer selbst produziert. Doch suchen hier IBM-Forschende nach den besten Wegen, wie sich Quantencomputer mit Aufgaben füttern, wie eine bisher noch alles andere als vollkommene Fehlerkorrektur funktionieren könnte und schließlich Ergebnisse von Quantenberechnungen auslesen ließen.

IBM setzt auf Quantenbits – kurz Qubits – aus supraleitenden Modulen auf der Basis des Metalls Niob. Andere Forschergruppen weltweit arbeiten alternativ beispielsweise mit einzelnen Ionen, die sich allerdings mit Fallen aus gekreuzten Laserstrahlen schwerer händeln lassen als Supraleiter-Qubits. In bis zu zwei Meter hohen, speziellen Kühlschränken – den Kryostaten – lassen sich Chips mit supraleitenden Qubits auf tiefe Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts bei minus 273,14 Grad Celsius abkühlen. Zwei solcher Quantencomputer, die mittlerweile über bis zu 433 Qubits verfügen, stehen im IBM-Forschungszentrum. Noch im Laufe dieses Jahres erwartet IBM, einen kommenden Quantencomputer mit sogar 1121 Qubits realisieren zu können. 2025 könnten dann schon mehr als 4000 Qubits pro Quantencomputer möglich werden.

Um die empfindlichen Quantenzustände – die Basis für die potenziell sehr effizienten und schnellen Rechenprozesse in einem Quantencomputer – von außen zu steuern, greifen die Forschenden auf Mikrowellen zurück. Eigens entwickelte Algorithmen geben vor, wie diese Mikrowellen beschaffen sein müssen, um den Quantenzustand eines Qubits zu beeinflussen. Genau dieses „Füttern“ eines Quantencomputers wird in Rüschlikon untersucht.

Eine besondere Rolle spielt dabei der Fehlerkorrektur. Denn Qubits verhalten sich nicht immer genau so, wie es vorher erwartet wird. Und ein Ergebnis, dass nicht zu 100 Prozent zuverlässig ist, hat keinen wirklichen Nutzen. Aus diesem Grunde sind auch Quantencomputer mit hunderten oder gar tausenden Qubits nötig, um schließlich ein zuverlässiges Ergebnis erhalten zu können. Eine zweite Herausforderung ist die Kopplung eines Quantencomputers mit einem klassischen Rechner, damit ein Nutzer möglichst einfach einen Quantencomputer überhaupt mit einer Fragestellung füttern und danach ein Ergebnis auslesen zu können.

Sobald die IBM-Forschenden sowohl Fehlerkorrektur als auch ein einfacheres Handling von Quantencomputern in den Griff bekommen, locken zahlreiche Anwendungen. Dann könnten extrem viel schneller als mit klassischen Supercomputern beispielsweise Logistik-Aufgaben gelöst, Synthesewege für neue Chemikalien und Werkstoffe gefunden oder auch elegantere Strategien in der Finanzwirtschaft angewendet werden.

Jan Oliver Löfken

 

IBM – AI for climate impact

Wie sich Künstliche Intelligenz dazu nutzen lässt, Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen besser vorherzusagen, präsentierte uns Thomas Brunschwiler, Forschungsmanager bei IBM Research. Idee ist es, Satellitendaten von einer KI auswerten zu lassen. Tausende Satelliten wurden seit den 1960-Jahren ins All geschossen; viele von ihnen wie Sentinel-2, Landsat 8 und Worldview kartografieren die Erde zwischen mehrmals täglich und einmal pro Woche, mit Auflösungen von ein paar Dutzend Meter bis zu unter einem Meter.

Viele unterschiedliche Daten kommen so in Datenbanken zusammen, und eine KI kann daraus beispielsweise das Risiko von Überschwemmungen in einer Gegend ermitteln, aber auch eine Antwort auf die Frage liefern, wie viele und welche Schäden eine Überschwemmung verursacht. Das Risiko ergibt sich aus den Wetterdaten, der Lage von Häusern, Feldern etc. und der Verwundbarkeit dieser Besitztümer, etwa wie alt die Häuser sind. Ausgewertet werden etwa Fotos von einem Ort vor und nach einem Ereignis, beispielsweise vor und nach dem Hurricane Michael in den USA. Es fließen also Informationen dazu ein, wo welche Gebäude zerstört oder beschädigt wurden.

Da sich das Wetter durch den Klimawandel ändert, steigt oder sinkt das Risiko für Überschwemmungen bzw. Trockenheit in bestimmten Gegenden. Das KI-Modell bezieht Daten wie Höhe, Landnutzung, Bodenbeschaffenheit und Niederschlag ein und erstellt Flutrisikokarten. Die KI kann laut Brunschwiler daher auch Antwort auf die Frage geben, ob es in einem Überschwemmungsgebiet überhaupt Sinn ergibt, alles wieder aufzubauen.

Brigitte Osterath

 

 

WSL Institut für Schnee- und Lawinenforschung, Davos, https://www.slf.ch/de/index.html

Naturidentisch: Schnee- und Lawinenforschung in Davos

Dendriten oder Makkaroni? In durchsichtigen Plastikwürfeln hält Martin Schneebeli beide Varianten in seiner Hand und freut sich an unserer Verblüffung über diese erstaunlichen Schnee-Skulpturen. Bevor er die beiden Modelle wieder auf den Tisch stellt und uns im T-Shirt in die Kälte führt. Wir sind zu Gast in Davos, am Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). Den Schnee haben wir mitgebracht: Es hat geschneit über Nacht an diesem 11. Mai 2023, bis fast hinunter zum Institut mit seinen blaugrauen Fassaden, wo wir – wie fast immer auf dieser Recherchereise – mit Kaffee und Gipfeli erwartet werden. Martin Heggli, verantwortlich für die Medienarbeit, drückt uns noch rasch Bleistifte in die Hand, bevor er uns über den Hof in den Trakt mit den Labors führt. Kulis würde bei bis zu minus 20 Grad den Dienst versagen.

Eins lernen wir schnell: Es liegt nicht am Schneemangel, dass hier mit künstlichem Schnee geforscht wird. Sondern an der Vergleichbarkeit. Wissenschaftliche Experimente funktionieren dann gut, wenn die Ausgangsmaterialien standardisiert sind (und nicht mal die Struktur von Makkaronis besitzen und mal die von Dendritengeflechten). Dabei ist künstlicher Schnee nicht gleich Kunstschnee (der aus Eiskügelchen besteht). Er ist naturidentisch. Die SLF-Forscher:inenn züchten ihn bei minus 20 Grad im Kältelabor, an zarten Nylonfäden entstehen aus Wasserdampf in übersättigter Luft Schneeflocken.

  

Jakob Schöttner erwartet uns dort schon. Er ist Doktorand, hat in Erlangen Maschinenbau studiert und sich für seinen PhD in Davos beworben – weil er die Berge liebt, und weil er etwas bewegen wollte. Sein Thema: Schneebrettlawinen. Diese Lawinenart ist für 90 Prozent aller Todesfälle bei Lawinenunglücken verantwortlich. Damit ein Schneebrett entstehen kann, braucht es eine ‚Schwachschicht‘ im Schnee, eine Schicht mit einer lockereren Struktur. Solche Schwachschichten züchtet Jakob und setzt sie dann gezielt unter Druck. „Die könnt ihr in die Hand nehmen, die habe ich extra für euch gezüchtet“, sagt er, als er uns einen ziegelsteingroßen Schneeblock überreicht und dann in seines experimentelles Set-up einspannt. Und voila – bei 50 Newton bricht die Schwachschicht, zerbröselt aus der Mitte heraus. „Wenn man langsam auf die Schneeschichten drückt, fließt es wie Honig. Wenn man schnell drückt, bricht es“, erzählt Jakob beim Hinausgehen.

Tropisch kommen uns jetzt die Temperaturen im schmalen Gang mit all den Posters an den Wänden und den Daunenanzügen an den Haken vor. „Der Temperaturwechsel macht müde“, warnt Jakob. Den Zusammenhang zwischen Mikrostruktur und physikalischen Eigenschaften des Schnees verstehen zu lernen, dieses Ziel teilt er mit vielen SLF-Forscher:innen. Sehr viele Geräte haben sie dafür selber gebaut, erzählt Lars Mewes, Postdoc am Institut, der wie Jakob in Erlangen studiert hat. Der Physiker untersucht, wie Schnee mit Licht interagiert, um den Einfluss von Schnee auf den Klimawandel besser modellieren zu können. Er nützt dafür Near infrared photography, seine Schneebilder macht er mit normalen Kameras, „man muss nur den Infrarotfilter abnehmen.“ Nächsten Winter geht es in die Antarktis.

Leiter der Forschungsgruppe Schneephysik war bis vor kurzem Martin Schneebeli. Jetzt ist er pensioniert, „aber noch jeden Tag hier.“ Der Wandlungsfähigkeit des Schnees widmete er viele Jahrzehnte seines Lebens. „Auf dem Weg vom Schneekristall zum Boden, da passiert ganz viel“, erzählt er. Aus den einzelnen Schneeflocken wird im Nu ein zusammenhängendes Gerüst. „Zwei Schneekristalle schweißen sich zusammen, wie Metall. “ Die neu entstandenen Mikrostrukturen untersuchen er und seine Kolleg:innen mit Hilfe von Computertomographie. Im Labor, bei minus 15 Grad, laufen gleich zwei Tomographen. Sie liefern 3-D-Bilder, die zeigen, wie sich die Schneestruktur verändert.  „Die neuen Techniken machen die Schneeforschung von einer beobachtenden Wissenschaft zu einer messenden Wissenschaft“, resümiert Schneebeli.

Den Makkaroni-Schnee hat er übrigens aus Finnland mitgebracht, der dendritischen Schnee stammt aus der Schweiz. Mit dem Klimawandel wird Schnee dichter. Das hat viele Folgen – nicht zuletzt für die Biodiversität in den Alpen. „Wenn Schnee sehr dicht wird, können typische Alpenvögel wie Birkhuhn oder Schneehuhn nicht mehr so leicht ihre Höhlen graben.“

Die komplexen Zusammenhänge zwischen Schnee, Eis und globaler Erwärmung lassen sich auch in der Ausstellung im Foyer es Institutes studieren. Und am Samstag, den 26. Juni 2023, ist Tag der offenen Tür am SLF in Davos.

Da sollen dann tatsächlich auch Schneeballschlachten mit verschiedenen Schneearten auf dem Programm stehen.

Regina Oehler

 

Lawinenwarnung: Mensch mit Maschine

Während im Mai die meisten mit dem Winter abgeschlossen haben, ist am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF längst nicht Schluss. Lawinenwarnungen gehören im Winterhalbjahr dazu wie der tägliche Wetterbericht. Und wenn der Schnee es hergibt, eben auch noch im Frühjahr.

Seit 1945 ist das SLF für die Lawinenwarnung in den Schweizer Alpen, Liechtenstein und bei entsprechender Schneelage auch im Jura zuständig. Dabei unabkömmlich: das Lawinenbulletin. Es hat den Charakter einer Warnung und erscheint im Winter ein bis zwei Mal täglich. Für lokale Lawinen- und Sicherheitsdienste, aber auch für Wintersportler*innen, die abseits der gesicherten Pisten unterwegs sind, ist das Bulletin eine wichtige Planungs- und Entscheidungsgrundlage.

   

 

Lawinenprognose: Aus 3 mach 1

Um das Lawinenbulletin zu erstellen, braucht es am SLF drei Lawinenwarnende. Sie alle drei machen unabhängig voneinander eine Prognose für den nächsten Tag: In welchem Gebiet herrscht welche Lawinen-Gefahrenstufe, welche Geländeteile sind besonders betroffen?

Für ihre Vorhersage greifen sie auf die geeichten Daten des Vortages zurück, auf aktuelle Daten von Messstationen, auf die Schneedeckenmodellierung mittels Snowpack und auf Rückmeldungen von rund 200 Beobachtenden zu Wetterlagen und Schneemengen. Diese offiziellen Beobachter*innen werden extra vom Lawinendienst ausgebildet. Dazu kommen freiwillige Meldungen von Bergführer*innen etwa oder Skitourengehern. Insgesamt also eine ganze Menge Daten, die es abzuwägen gilt.

In einem täglichen Briefing verteidigen und vergleichen die Lawinenwarnenden dann jeweils ihre Entwürfe, woraus schließlich der Lawinenbulletin für den Folgetag entsteht. Dieser kann entweder online, oder in der App White Risk abgerufen werden.

 

Die KI als vierte Meinung

Seit dem Winter 2021/22 liefert außerdem die künstliche Intelligenz (KI) eines Computers eine Einschätzung zur Lawinengefahr, die bei der Beratung mit einbezogen wird. Die KI-Prognose basiert auf Mess- und Modelldaten.

„Allerdings bilden wir uns immer erst unsere eigene Meinung, dann schauen wir uns das KI-Modell an“, sagt Lawinenwarner Frank Techel. Oft deckt sich die KI-Prognose mit der der Lawinenwarnenden. Hin und wieder kommt es aber auch zu Abweichungen. Dann wird die Einschätzung abermals kritisch geprüft und ggfs. angepasst. Die KI könne insbesondere bei genaueren geografischen Abgrenzungen unterschiedlicher Gefahrenstufen eine Hilfe sein.

Bisher bewährt sich die KI als viertes Prognosetool am SLF, die dank Machine Learning mit der Zeit immer präziser wird. Doch die Lawinenwarnung ganz dem Computer überlassen, das wird trotzdem wohl nie passieren. „Aber vielleicht könnten wir eine der drei Personen durch die KI ersetzen“, sagt Frank Techel. „In fünf Jahren etwa“.

Hannah Fuchs

 

Empa – Jungfraujoch, https://www.empa.ch/web/s503/jungfraujoch

Der letzte Tag der Pressereise ist nicht nur sprichwörtlich eine Krönung. Von Grindelwald im Tal geht es hinauf, zunächst mit dem Bus und einer Seilbahn, dann zwischen Touristengruppen mit einer Zahnradbahn bis zum Jungfraujoch, der als höchster Bahnhof Europas beworben wird. Tatsächlich liegt auf 3454 Metern in einem Stollen nicht nur jener Bahnhof, sondern 117 Meter darüber neben einer geräumigen Bergstation auch die Forschungsstation Sphinx. Die thront über dem Jungfraufirn und dem Aletschgletscher und wird seit 1950 betrieben, zuerst für astronomische Beobachtungen, heute vor allem für Messungen der Luftchemie und des Wetters.

 

 

 

Uns begrüßt das Betriebswartspaar sehr herzlich, das die Forschungsstation am Laufen hält: Die Betten für übernachtende Forscher müssen bezogen, aber auch die vielen Messgeräte in Schuss gehalten werden. Dazu liefern sie mehrmals täglich Wetterdaten ans Schweizer Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie. Der Aufenthalt in der Höhe strengt die angereisten Journalisten an – selbst kleine Treppen erfordern schnelles Atmen. Die Betriebswarte wirken dagegen gut an das Leben auf dem Joch angepasst und klagen nicht. Rund alle zwei Wochen fahren sie ins Tal und werden abgelöst.

Die Sphinxstation wird heute von diversen Forschungsinstituten in Europa betrieben. Martin Steinbacher von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) führt in die heiligsten Hallen, den Betriebsräumen der diversen Messgeräte. Hier wird die Luft auf dem Dach Europas durchleuchtet: Die Abgase der italienischen Poebene kommen hier ebenso an wie exotische Abgase französischer Fabriken. Insgesamt sei die Luftqualität in den letzten Jahrzehnten deutlich besser geworden, aber auch am großen Alpengletscher am Jungfraujoch nagt die Klimakrise: Neben steigenden Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan wecken hier zunehmend exotischere Gase mit Klimawirkung das Interesse der Forscher, darunter fluorierte Kältemittel aus Klimaanlagen oder gar Narkosemittel aus Krankenhäusern.

Karl Urban

 

WPK, ja, aber wie heißen wir doch gleich vollständig?

 

 

 

Fotos: Lilo Berg, Rüdiger Braun, Kai Dürfeld, Magnus Heier, IBM, Lynda Lich-Knight, Regina Oehler, Karin Schumacher, Karl Urban